Wenn der
Leser sorgfältig nachdenkt, wird er feststellen, dass die spirituelle
Wissenschaft sich allmählich aus uralten Zeiten entfaltete und einfacher,
klarer und kondensierter wurde. Je mehr die, von Zeit und Umgebung
verursachten Unreinheiten beseitigt werden, desto heller leuchten die Schönheiten
der spirituellen Wissenschaft vor uns. Diese spirituelle Wissenschaft
wurde im Land des Kuschagrases, an den Ufern des Flusses Saraswati in
Brahmavarta geboren. Allmählich zu Kräften gekommen, verbrachte diese
spirituelle Wissenschaft ihre Kindheit im Badarikaaschram. Ihr Mädchenalter
verbrachte sie im Wald von Naimischaranya an den Ufern des Flusses Gomati,
und ihre Jugend an den schönen Ufern des Flusses Kaveri in der Provinz
Dravida. Die spirituelle Wissenschaft erreichte ihre Reife in Nabadwip, an
den Ufern des Ganges, der das Universum reinigt.
Wenn wir
die Weltgeschichte studieren, können wir sehen, dass die spirituelle
Wissenschaft ihren Höhepunkt in Nabadwip erreichte. Die Höchste Absolute
Wahrheit ist das einzige Ziel der Liebe aller Lebewesen. Wenn man Ihn
jedoch nicht mit Zuneigung verehrt, kann das Lebewesen Ihn niemals
erlangen. Selbst wenn eine Person alle Anziehung zu dieser Welt aufgibt
und an den Höchsten Herrn denkt, ist Er noch immer nicht einfach zu
erlangen. Er wird allein durch transzendentale geschmackvolle Beziehungen
(rasa) bewegt und erreicht. Es gibt fünf Arten von Rasas,
Beziehungen: Schanta, Dasya, Sakhya, Vatsalya
und Madhura (friedvolle Anhänglichkeit, Dienerschaft, Freundschaft,
Elternschaft oder Obhut und eheliche Liebenswürdigkeit).
Die
erste dieser transzendentalen geschmackvollen Beziehungen, Schanta-rasa,
ist die Stufe, auf der das Lebewesen die Leiden des materiellen Daseins überwindet
und sich im Überweltlichen befindet. Dieser Zustand verleiht ein wenig
Freude, aber kein Gefühl von Unabhängigkeit. An diesem Punkt ist eine
Beziehung zwischen dem Praktizierenden und dem Herrn noch nicht geknüpft.
Dasya-rasa
ist die zweite transzendentale Beziehung. Sie enthält alle Bestandteile
des Schanta-rasa und zusätzlich Zuneigung. „Der Herr ist mein
Meister und ich bin Sein ewiger Diener.“ Diese Art von Verhältnis
findet man in Dasya-rasa. Niemand legt besonderen Wert auf
irgendeines der besten Dinge dieser Welt, wenn es nicht mit Zuneigung
verbunden ist. Deshalb ist Dasya-rasa dem Schanta-rasa in
vielerlei Hinsicht überlegen.
Sakhya
ist dem Dasya überlegen. Im Dasya-rasa steckt ein Dorn in
der Gestalt von Ehrfurcht und Hochachtung, aber das Hauptornament im Sakhya-rasa
ist das Gefühl von ebenbürtiger Freundschaft. Der Freund unter den
Dienern nimmt den höheren Rang ein. Daran besteht kein Zweifel. Sakhya-rasa
beinhaltet all den Reichtum von Schanta und Dasya.
Es
ist leicht verständlich, dass Vatsalya dem Sakhya überlegen
ist. Ein Sohn bringt mehr Zuneigung und Freude als jeglicher Freund.
Deshalb finden wir im Vatsalya-rasa. Den Reichtum von vier Rasas.
Obwohl Vatsalya-rasa diese anderen Rasas übertrifft,
erscheint es gegenüber dem Madhura-rasa unbedeutend. Es mag
zwischen Vater und Sohn viele Geheimnisse geben, aber zwischen Ehegatten
ist das nicht der Fall. Wenn wir daher gründlich hinschauen, werden wir
sehen, dass alle oben genannten Rasas im Madhura-rasa ihre
Vollkommenheit erreichen.
Wenn
wir durch die Geschichte dieser fünf Rasas gehen, erkennen wir
deutlich, dass Schanta-rasa in den frühesten Tagen Indiens zu
sehen ist. Als die Seele nach der Durchführung von Opferungen mit
materiellen Zutaten nicht zufriedengestellt war, wandten sich alle
Transzendentalisten wie Sanaka, Sanatan, Sananda, Sanat-kumara, Narada und
Schiva von der materiellen Welt ab, und, im Überweltlichen gefestigt,
realisierten sie Schanta-rasa.
Viel später
deutete sich Dasya-rasa in Hanuman, dem Diener von Sri Ramachandra,
ab. Dieses selbe Dasya-rasa dehnte sich allmählich nach dem
Nordwesten aus und zeigte sich in einer großen Persönlichkeit mit dem
Namen Moses.
Im
Zeitalter des Dvapara wurden Uddhava und Arjuna die befähigten Autoritäten
des Sakhya-rasa. Sie predigten dieses Rasa in der ganzen
Welt. Allmählich dehnte sich dieses Rasa bis in die arabischen Länder
aus und berührte das Herz Mohammeds, dem Kenner von religiösen
Prinzipien.
Vatsalya-rasa
zeigte sich in ganz Indien zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen
Gestalten. Eine dieser verschiedenen Formen, das mit Opulenz gemischte Vatsalya,
verließ Indien und erschien in einer großen Persönlichkeit namens Jesus
Christus, der ein Prediger jüdischer religiöser Prinzipien war.
Madhura-rasa
erstrahlte hell erstmalig in Braj. Es ist sehr selten, dass dieses Rasa
die Herzen von bedingten Seelen betritt, weil dieses Rasa dazu
neigt, bei qualifizierten, reinen Lebewesen zu verbleiben. Chaitanya
Mahaprabhu, der Mond von Nabadwip, predigte dieses vertrauliche Rasa
mit der Unterstützung Seiner Nachfolger.
Bis
zum heutigen Tage (1880 A.D., Anmerkung des Übersetzers)
hat dieses Rasa die Grenzen Indiens noch nicht überschritten. Vor
kurzem hat ein englischer Gelehrter namens Newman etwas über dieses Rasa
erfahren und ein Buch darüber geschrieben. Die Menschen in Europa und
Amerika wurden von dem, mit Opulenz gemischten Vatsalya-rasa, wie
es von Jesus Christus gepredigt wurde, nicht zufriedengestellt. Ich hoffe,
dass sie durch die Gnade Gottes in sehr kurzer Zeit davon angetan sein
werden, den berauschenden Nektar des Madhura-rasa zu trinken.
Es
wurde deutlich, dass jedes Rasa, das in Indien erscheint, sich
schließlich über die westlichen Länder verbreitet. Deshalb wird Madhura-rasa
bald in der ganzen Welt gepredigt werden. So wie die Sonne zuerst in
Indien aufgeht und ihr Licht allmächlich nach Westen verbreitet,
erscheint die Pracht spiritueller Wahrheit zuerst in Indien und dehnt sich
dann allmählich auf die westlichen Länder aus.